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Würdigung des Normentwurfs DIN 94681:2025 03

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Würdigung des Normentwurfs DIN 94681:2025‑03: Verkehrssicherheitsüberprüfung für Wohngebäude

Würdigung des Normentwurfs DIN 94681:2025‑03: Verkehrssicherheitsüberprüfung für Wohngebäude

Wohngebäude sind in Deutschland statistisch gesehen der gefährlichste Aufenthaltsort: 2022 verloren dort 15 551 Menschen infolge häuslicher Unfälle ihr Leben, mehr als fünfmal so viele wie im gesamten Straßenverkehr (2023: 2 839 Getötete). Gleichwohl existierte bislang kein normativer Rahmen, der die Betreiber‑ und Eigentümerpflicht zur Gefahrenabwehr in einheitliche, überprüfbare Abläufe übersetzte. Der im Februar 2025 veröffentlichte DIN‑Entwurf 94681 schließt diese Lücke, indem er eine detaillierte Methodik zur jährlichen Verkehrssicherheitsüberprüfung von Wohngebäuden vorlegt. DIN 94681 setzt einen Meilenstein in der Professionalisierung der Verkehrssicherheit von Wohngebäuden. Sie übersetzt abstrakte Pflichten in konkrete Handlungsanweisungen und dockt damit an internationale Best Practice im Property‑Risk‑Management an. Technisch und rechtlich überzeugt die Kohärenz des Prüfsystems, organisatorisch schafft es jedoch spürbare Mehrbelastungen, die vor allem kleinformatige Eigentümer wie auch Mieter kritisch sehen.

Die Norm kann ihr großes präventives Potenzial nur entfalten, wenn sie flexibel, verhältnismäßig und sozial ausgewogen implementiert wird. Andernfalls droht sie, als Symbol überbordender Regulierung zu scheitern. Ein iterativer, empirisch fundierter Anpassungsprozess – statt einer sofortigen Vollnorm – erscheint der Königsweg. So könnte DIN 94681 vom Streitobjekt zum weithin akzeptierten Leitstandard für sichere Wohngebäude werden – und damit tatsächlich Leben retten, Haftung mindern und Immobilienwerte sichern.

Technische Dimension

Der Normenentwurf strukturiert die Prüfpflicht in knapp 250 Einzelkontrollen, die alle gemeinschaftlich genutzten Gebäudeteile einschließen – Dach und Fassade ebenso wie Außenwege, Beleuchtung, Spielplätze, haustechnische Anlagen und Brandschutzvorkehrungen. Prüfobjekte und Prüftiefe orientieren sich an der Gefährdungsschwere; so wird etwa die Absturzsicherung an Balkonen auf Befestigung, Materialverschleiß und normgerechte Höhe untersucht, während Feuerlöscher stichprobenartig auf abgelaufene Prüffristen geprüft werden.

Die Ampel‑Systematik – Grün, Gelb, Rot – verdichtet heterogene Befunde zu einem kondensierten Zustandsurteil und erzeugt Handlungsdruck dort, wo rote Einstufungen auftreten. Bemerkenswert ist die Wahl eines reinen Sicht‑ und Funktionsprüfansatzes: Mess‑ oder Labormethoden bleiben den – separat geregelten – Fachprüfungen nach EEG, TRGI, VDE oder Bauordnungen vorbehalten. Damit respektiert die Norm die föderale Vielfalt bestehender Spezialvorschriften, ohne Doppelregime aufzubauen.

Im Vergleich zu internationalen Vorbildern (z. B. der britischen Periodic Building Inspection nach BS 9999 oder den US‑amerikanischen Property Condition Assessments nach ASTM E2018) zeichnet sich DIN 94681 durch eine feinere Gliederung sicherheitsrelevanter Bauteile aus, während sie den Inspektionszyklus mit „jährlich“ relativ starr definiert. Industrie‑ und Berufsverbände fordern deshalb risikoadaptierte Intervalle, etwa zwei‑ bis dreijährige Prüfungen für Bauteile mit niedriger Schadensfolgen­schwere.

Organisatorische Implikationen

Der Normtext verankert eine zweistufige Prüforganisation: sachkundige Personen (meist Hausmeister oder Objekttechniker mit Kurzschulung) und fachkundige Prüfer (Ingenieur, Meister oder öffentlich bestellter Sachverständiger). Der Übergabepunkt zwischen beiden Rollen ist streng fehlertolerant formuliert: Entdeckt der Sachkundige einen Befund außerhalb seines Kompetenzrahmens, muss der Fachkundige hinzugezogen werden.

Wohnungsunternehmen müssen folglich ein Rollen‑ und Eskalationsmodell entwickeln, das Prüfverantwortung, Mängelerfassung, Beauftragung externer Gewerke und Wiedervorlagefristen integriert. Empirische Studien zum Facility‑Management zeigen, dass sich hierfür das PDCA‑Paradigma (Plan‑Do‑Check‑Act) bewährt: Planung der Jahresrouten, Durchführung der Sichtungen, Kontrolle der Maßnahmenumsetzung, Anpassung der Prüflisten.

Eine wesentliche Neuerung liegt in der digitalen Dokumentationspflicht. Zwar lässt der Entwurf Papierform zu, verweist jedoch expressis verbis auf „marktverfügbare Prüf‑ und Dokumentations­software“. Für viele Kleinvermieter bedeutet dies Investitionen in mobile Apps, Datenbanken und langfristige Archivierungssysteme; Großverwalter können hingegen Skaleneffekte in der IT nutzen. Organisatorisch verlagert sich der Schwerpunkt von reaktiver Instandhaltung zu präventiver Instandhaltung, was eine strategische Ressourcenplanung erfordert – Hausmeisterkapazitäten, Budgetreservierung für Sofortmaßnahmen und Lieferantensteuerung.

Rechtliche Würdigung

Rechtlich operiert die Norm im Grenzbereich zwischen freiwilliger technischer Regel und faktischem Haftungsmaßstab. Die Autoren stellen klar, dass keine gesetzliche Inbezugnahme vorgesehen sei. Gleichwohl verweist die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) in ihrem Einspruch darauf, dass DIN‑Regeln regelmäßig als anerkannte Regeln der Technik gewertet und von Gerichten herangezogen würden. Bei einem Schadenfall könnte die Nichtanwendung der Norm daher als Indiz für Fahrlässigkeit gewertet werdenciteturn0search1.

Im Zivilrecht spiegelt DIN 94681 die Schutz‑ und Organisationspflichten des Eigentümers (§§ 823, 836 BGB) und konkretisiert sie. Im Mietrecht geraten Betriebskosten und Modernisierungsumlagen in den Fokus: Ist die Prüfgebühr als „sonstige Betriebskosten“ umlagefähig? Die h. M. verneint dies, weil es sich um Aufwendungen zur Erfüllung einer primär haftungsrechtlichen Pflicht handelt, die im Mietzins abgegolten ist. Gleichwohl ist mit Prozessrisiken zu rechnen, bis BGH‑Rechtsprechung Klarheit schafft.

Versicherungsrechtlich birgt die Norm eine Janusköpfigkeit: Einerseits könnte der Haftpflichtversicherer bei Verstoß Regresse geltend machen; andererseits zeichnen sich erste Modelle ab, bei denen Versicherer Prämiennachlässe für normkonforme Gebäude gewähren.

Kaufmännische Analyse

Die statische Kostenrechnung eines 50‑Wohnungs‑Mehrfamilienhauses zeigt: Bei einem externen Prüfhonorar von 1 500 Euro jährlich plus vier Personentage interner Begleitung entstehen unmittelbare Aufwände von rund 2 200 Euro. Über einen Betrachtungszeitraum von zehn Jahren summiert sich dies (Barwert, r = 2 %) zu etwa 20 000 Euro. Dem gegenüber steht der Nutzen aus vermiedenen Haftungsfällen und Großschäden: Ein einziger schwerer Personenschaden kann Schadensersatzforderungen von über 300 000 Euro auslösen; Fassadengroßschäden infolge unentdeckter Risse liegen häufig im sechsstelligen Bereich. Die einkalkulierte Risikoprämie fällt damit deutlich höher aus als die jährlichen Prüfkosten, sodass der Kapitalwert der Maßnahme ceteris paribus positiv ist.

Für private Ein‑ und Zweifamilienhausbesitzer kehrt sich die Ratio um: Hier entspricht der jährliche Prüfaufwand oft 6–8 % der gesamten Instandhaltungsrücklage, während das Haftungs­exponat – etwa das Risiko einer herabfallenden Dachpfanne – statistisch geringer ist. Deshalb kritisiert der Verband Wohneigentum die Norm als „Bürokratiemonster“ und fordert praxistaugliche Schwellenwerte oder Ausnahmeregelungen.

Unter ESG‑Gesichtspunkten verwandelt sich die Prüfroutine allerdings in einen weichen Wettbewerbsvorteil: Investoren gewichten verlässliche Betreiber‑Compliance in der Governance‑Dimension; Wohnungsunternehmen können ihre normative Konformität in Green‑Bond‑Rahmenwerken als Social‑Impact‑Kriterium ausweisen, was die Kapitalkosten reduziert.

Verkehrssicherheit

Die Risikoreduktionshypothese der Norm stützt sich auf den empirischen Anstieg tödlicher Stürze im häuslichen Umfeld von 6 455 im Jahr 2006 auf 15 551 im Jahr 2022. Eine dynamische Szenariorechnung legt nahe: Senkt ein systematischer Prüfansatz die Unfallinzidenz konservativ um nur 5 %, würden bundesweit rund 780 Menschenleben jährlich gerettet. Hinzu kommt ein erheblicher Rückgang nichttödlicher, aber kostenintensiver Verletzungen. Damit erreicht die Norm eine volkswirtschaftliche Dimension, die weit über die Ebene individueller Haftungsoptimierung hinausreicht.

Kritiker wenden ein, die Kausalität sei nicht belegt; Haushaltsunfälle resultierten überwiegend aus Eigenfehlern der Bewohner und ließen sich nur bedingt durch bauliche Prävention eindämmen. Dem hält die Befürworterseite entgegen, dass bauliche Defizite häufig unfallauslösend oder gefahrenerhöhend wirken: wackelige Handläufe, unbeleuchtete Podeste, vereiste Zuwegungen – alles Faktoren, die systematisch adressiert werden können. Die Wahrheit dürfte in einer Kombinationswirkung liegen.

Stakeholder­

  • Wohnungsunternehmen erkennen den strategischen Vorteil standardisierter Sicherheitsprozesse, fürchten aber Mehrkosten und dokumentarische Überfrachtung.

  • Kleinvermieter sehen ihre Selbstorganisation gefährdet; sie fordern Skalierungslogik nach Gebäudegröße.

  • Mieter begrüßen objektiv messbare Sicherheitsgewinne, lehnen jedoch die Umlage der Kosten ab.

  • Politik – prominent vertreten durch den Bayerischen Bauminister – kritisiert den „Zwang ohne Gesetz“ und fordert Rücknahme oder Umwidmung in einen unverbindlichen Leitfaden.

  • Dienstleister und Sachverständige heben die Marktopportunitäten und die juristische Absicherung der Betreiber hervor.

Regulationsparadoxon

Der Diskurs zeigt ein klassisches Regulationsparadoxon: Je deutlicher die Norm Freiwilligkeit betont, desto stärker wächst im Haftungsrecht ihr faktischer Zwang.

Synthese und Handlungsempfehlungen

  • Risikoadaptive Intervalle: Eine Matrix nach Gefährdungsschwere und Gebäudetyp würde unnötige Prüfungen vermeiden und Akzeptanz steigern.

  • Schwellenwertregelung: Für Objekte unter zehn Wohneinheiten könnte ein zweijähriger Turnus genügen, sofern keine besonderen Risiken vorliegen.

  • Förderliche Digitalisierung: Ein Open‑Source‑Basistool für Prüfdokumentation würde Kleinanwendern Einstiegskosten nehmen.

  • Kostentransparenz und Umlagegrenzen: Gesetzgeberische Klarstellung, dass Prüfkosten nicht als Betriebskosten, sondern als Instandhaltung gelten, würde soziale Härten vermeiden.

  • Pilotphase: Eine dreijährige Erprobung in einem Querschnitt regionaler und typologischer Bestände sollte dem Normenausschuss valide Nutzendaten liefern.